Im Mai 2007 veröffentlichte das deutsche Experimental-, Minimalelektronik- und Avantgardespeziallabel VINYL ON DEMAND unter dem Titel EARLY RECORDINGS 77–83 : GRAF+ZYX [VOD42] eine LP mit bisher noch nicht auf Schallplatte erhältlichen GRAF+ZYX-Produktionen aus den Jahren 1977 bis 1983.
Für diese Kompilation wählte Frank Maier gezielt divergierende Referenzstücke aus frühen Stationen der „Mediensynthetischen Programme“ von GRAF+ZYX aus. Visuelle Unterstützung findet diese Auswahl durch die grafische Arbeit von Joachim Jalowy, der Cover und Label unter der Verwendung einiger Selbstportraits der Künstler und in grafischer Referenz an die visuelle Formfindung der 1980-er Jahre realisierte.
EARLY RECORDINGS stellt, im Gegensatz zu TRUST NO WOMAN [erschienen 1981 bei RCA/Musica] – einem Album mit Sciencefiction-Qualitäten, das noch immer zum Besten und Intelligentesten, was die österreichische Musikszene je hervorgebracht hat, zählt – kein geschlossenes musikalisches Projekt vor, zeichnet kein eindeutig festzumachendes Musikerprofil, sondern listet in der knappen Auswahl von vierzehn sensibel gereihten Tracks höchst widersprüchliche Perspektiven einer melancholisch-sentimentalen bis zynisch-düsteren Weltsicht.
Audielle Gestaltungsmodelle – für multimediale Aufführungen, Installationen und abstrakte Film-/Videovisualisierungen konzipiert – reichen von minimalistisch-elektronischen Soundgestaltungen über psychedelisch kompliziert geschichtete Phrasierungen bis hin zur reduktionistisch-synthetischen Formfindung.
Streng musikalische Strukturen wie Rhythmus und Beat, die Konstruktionsbasis ihrer doppelbödigen Idyllen im Maschinentakt der 1980-er Jahre, werden durch die programmatische Verflechtung mit Nichtvertrautem, Fremdartigem – auch im Gesangs- und Textmodul – gebrochen und verweisen durch diese ungewöhnlichen künstlerischen Eingriffe in zeit- und raumlose [Independent-]Musikgestaltungen, jenseits konkret definierbarer Moden wie New Wave oder Ambient Music.
GRAF+ZYX plädieren in ihren Konzepten für die Wiederannäherung an bereits gesellschaftlich verdrängte Gestaltungsmöglichkeiten wie Konzentration auf Persönliches, Fiktives und „Handgemacht“-Perfektes und eine an das futuristische Manifest angelehnte Zukunftsvision, der reizvollen Perspektive der [Er]Schaffung neuer, noch nie dagewesener künstlicher Welten und Identitäten. So enthalten ihre medienübergreifenden Arbeiten die persönliche Liebeserklärung an das Maschinenzeitalter und favorisieren das Modell der intimen Verschmelzung von Mensch und Maschine. Ungebrochener humanoider Gestaltungswille in enger Symbiose mit einer beherrschbaren, durchschaubaren, der persönlichen Erweiterung dienenden und unter diesem Aspekt gar nicht mehr so „kalten“ Technik.
Und ohne auf die Darstellung realistischer Selbstportraits mit autobiografischem Bezug oder auf konkret gesellschaftspolitische Referenzen als Erfolg versprechende Kommunikationsmodule zurückzugreifen, formulieren sie mit ihren Sounds und Textpassagen die tristen, aber ästhetisch durchaus reizvollen Aspekte eines zivilisierten [Innen]Lebens, jenseits des normalen Alltags an der Schwelle zur Utopie.
Musik als fragile Vibration ambivalenter Seelen – urban, kontrolliert, aber unberechenbar. Widersprüchliche Stimmungsbilder, betextet ganz in der wienerischen Tradition freud’scher Tiefenanalyse, wie in Track zehn [„Maybe tomorrow“, 1979 (4,24)] … // tomorrow i will kill you / tomorrow i’ll be free / …, werden kontrovers mit Geigen- und Bassriffs, „HipHop-Chor“ und psychedelischer Gesangsphrasierung und mit klassischen Geigenstreams arrangiert.
Ganz anders die musikalische Lösung in Track neun [„Get away Dark Side“, 1979 (4,42)]: Ein schwerfälliger, pendelnder Bass-Groove und autosuggestive Sprachformeln diktieren die schwarze, narkotisch anmutende Stimmung dieses Augenblicks und umschreiben so den Druck formloser Schattenwesen auf die Seele. Elegisch, fast in der Tradition indianischer Schamanen wird der Verlauf einer ausweglosen Traumgeschichte abgehandelt.
Und während in Track eins [„Track 7“ aus W-T-W, 1983 (5,13)] die „Konversation mit meinem Symbionten“, ein mit Synthesizer und Schlagzeug rhythmisch unterlegtes, intimes, aber unverständliches Zwiegespräch in „really Japanese“ [Text und Stimme: Eva Choung-Fux] und „Alien-Language“ [ZYX] musikalisch formuliert wird und damit transzendental glitzernd in Kommunikationsmethoden fremder Welten einführt, wird in Track zwei, im Verlauf einer einer rhythmisch-schwingenden Reise über virtuelle französische Landstraßen, die androide Identität eines „Citroen Automatique“ [ein „feminal-cyborgistisch“ visualisierter Kunstkörper im gleichnamigen Video] aufgebaut und durchaus sehnsüchtig gelangweilt bis geplant unverständlich – in „französischsprachlicher Verwirrung“ – besungen.
Und nur so zum Drüberstreuen und um über die Bedeutungslosigkeit einer europäisch humanistischen Bildung und über Ernst und Tiefe zu spotten, ein Sprung ins nächste Paralleluniversum. Track fünf [„I look out V.2.0“, 1980 (2,16)] – ein dünner Strahl eines pop-visionären Entzückens, eine mit Wah-Wah-Effekt und Schlagzeug instrumentierte, perfekt sinnlich interpretierte, sehnsuchtsvolle Liebeserklärung an die Dimensionen von Erinnerung und Verlust.
Da diese kurze Komposition gleich in vier kreativen, musikalischen Kontradiktionen aufgezeichnet ist, zeigt sie erfolgreich die Varianzbreite individueller ästhetischer Gestaltungsmöglichkeiten bei der Realisation künstlerischer Ideen auf.
Zusammenfassend kann man sagen, dass diese Kompilation, dieser Rückgriff in die Vergangenheit, die kompromisslose Entwicklung zweier Künstler aufzeigt, deren gestalterische Vorgangsweise durchaus auch heute noch Verwirrung ins definierte Regelwerk der Musikgestaltung bringt. Ihr musikalisches Spektrum lässt sich im Spannungsfeld von technokratischer Distanziertheit über romantisch psychedelisch bis zu abstrakt futuristisch klassifizieren und kann als Musterbeispiel für persönliche Autonomie und einem erfolgreichen „Vorbeiarbeiten an kulturellen Massenphänomenen und populären Identifikationsmustern“ [Zitat GRAF+ZYX] stehen.
Der musikalische Schwerpunkt liegt bei ihren überwiegend elektronisch arrangierten Kompositionen in der Verwendung von Synthesizern in Verbindung mit Schlagzeug, Elektrobass, klassischer Violine und Gesang. Vierzehn differenzierte Interpretationen sorgen für 48 Minuten assoziativ sprunghaftes, aber flüssiges Musikgeschehen – ein abwechslungsreiches Hörerlebnis für Freigeister, Forscher und Liebhaber des Widersprüchlichen und Vielschichtigen.